Expertin der Monate Dezember 2021/ Januar 2022 - Dr. Jieying Chen

Expertin der Monate Dezember 2021 / Januar 2022 ist unsere Expertin für die Volksrepublik China Dr. Jieying Chen

Für die Monate Dezember und Januar stellen wir Ihnen unsere PARLA-Expertin Dr. Jieying Chen aus Mainz vor. Im Interview spricht sie über kulturelle Unterschiede zwischen China und Deutschland und wie ein „interkulturelles Sprechtraining“ die Kommunikation zwischen beiden Seiten verbessern kann.
Viel Spaß beim Lesen!

 

Frau Dr. Chen, Ihr Spezialthema ist die Volksrepublik China. Was sind die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und China und welche Werte können die Nationen voneinander lernen?

Das ist selbstverständlich eine sehr nahliegende Frage. In der globalisierten Welt von heute ist es jedoch kaum noch möglich, eine pauschale Aussage über „die deutschen“ und „die chinesischen“ Werte zu treffen. Wenn ich mir in diesem Zusammenhang doch eine Generalisierung erlauben würde, dann würde ich sagen, dass die Gründlichkeit und die Regelorientierung „der Deutschen“ und die Flexibilität und das holistische Denken „der Chinesen“ Anstöße zum gegenseitigen Lernen liefern.

 

Ihren Doktortitel haben Sie in der interkulturellen Wirtschaftskommunikation erworben. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie daraus gewonnen haben?

Meine Doktorarbeit zur Kommunikation in einem deutsch-chinesischen Joint-Venture beschäftigt sich unter anderem mit der Frage „Haben wir Kultur oder schaffen wir Kultur?“. Die Antwort lautet: sowohl, als auch. Wir Menschen sind zum einen von Kultur geprägt, zum anderen können wir eine neue Kultur in der Interaktion aushandeln und gemeinsam konstruieren. In meiner Doktorarbeit konnte ich beobachten, dass während längerer Zusammenarbeit in einem deutsch-chinesischen Team eine sogenannte Interkultur entsteht, die Elemente aus beiden Kulturen enthält und die Zusammenarbeit begünstigt.

 

Sie arbeiten gerade im Auftrag von PARLA für eine deutsche Organisation in China mit dem Thema "interkulturelles Sprechtraining". Wie kann ein Sprechtraining die Kommunikation zwischen beiden Seiten erleichtern?

Es gibt sprachspezifische Unterschiede in Kommunikationskonventionen, verbal, nonverbal und paraverbal: z.B. in welcher Reihenfolge Informationen organisiert werden, wie Kritik oder eine Bitte formuliert werden oder was die angemessene Länge einer Pause zwischen wechselnden Sprechern ist.  Wenn wir in einer Fremdsprache kommunizieren, nehmen wir oft unbewusst Konventionen aus der Muttersprache mit. Ein interkulturelles Sprechtraining trägt zu mehr Bewusstsein für solche Unterschiede bei. Durch zielgerichtetes Üben kann dann eine effektivere und klarere Kommunikation erreicht werden.

 

Seit 12 Jahren sind Sie nun interkulturelle Beraterin und Trainerin. Woran haben Sie gemerkt, dass das eine interessante Marktnische ist, und was hat sich über die Jahre an dem interkulturellen Miteinander verändert?

Als Marktnische habe ich die interkulturelle Beratung tatsächlich erst spät wahrgenommen, sondern bin eher auf dem Weg des Herzens dahin gelangt. Da war zum einen das Interesse an Sprache und Kultur, das mich mit 22 Jahren zu Studium und Promotion nach Deutschland geführt hat. Zum anderen hat mir die Arbeit mit Menschen immer schon sehr viel Freude und Energie geschenkt, weswegen ich langfristig eine Tätigkeit angestrebt habe, bei der ich intensiven Kontakt mit Menschen habe. Bei meiner Karriere in Unternehmen in China und Deutschland bin ich dann schon recht früh von Geschäftsführern und Kollegen bei interkulturellen Fragestellungen und Konflikten um Ratschläge und konkrete Unterstützung gebeten worden. Daraus hat sich meine Beratungstätigkeit allmählich entwickelt.
An dem interkulturellen Miteinander hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen: weg von dem Fokus auf Unterschiede und Missverständnisse, hin zu der Suche nach Verbindungen, Gemeinsamkeiten und Synergien. Das ist meiner Meinung nach der am meisten erfolgversprechende Weg, wenn man an einer Zusammenarbeit interessiert ist.

 

Sie sind in Shanghai geboren und aufgewachsen, erst im Rahmen des Studiums kamen Sie nach Deutschland. Wie groß war Ihr Kulturschock, bzw. ist Ihnen ein bestimmtes Ereignis oder ein erster Eindruck zu Deutschland besonders im Gedächtnis geblieben?

Meinen ersten „Kulturschock“ hatte ich bereits vor meiner Abreise nach Deutschland. Während meiner Bewerbung um einen Studienplatz konnte ich meine dringend benötigte Ansprechpartnerin an der deutschen Uni für längere Zeit nicht erreichen, da sie im Sommerurlaub war. Das kam für mich sehr überraschend – in China hat man recht wenige Urlaubstage, so dass niemand für mehrere Wochen in Urlaub gehen kann. Ein anderes Erlebnis: In meiner ersten Woche in Deutschland wollte ich mir einen Laptop kaufen und habe im Laden einem Verkäufer, der gerade einen anderen Kunden bediente, eine kurze Frage gestellt. In China ist so etwas völlig normal. Der deutsche Verkäufer schaute mich jedoch verärgert an und sagte: „Einer nach dem anderen!“ Eine mögliche Erklärung für diesen Vorfall bietet die Kulturdimension des Zeitmanagements. In Deutschland ist dieses eher monochron, d.h. man erledigt seriell eine Tätigkeit nach der anderen. In China arbeitet man hingegen oft polychron, d.h. man führt viele Dinge parallel aus.

 

Haben Sie ein Motto oder einen inspirierenden Gedanken, nach dem Sie leben, den Sie uns mitteilen möchten? Was bedeutet dieser für Sie?

„Wir sind alle kulturelle Mischlinge“, so sagt der deutsche Philosoph Wolfgang Welsch zur Identität zeitgenössischer Individuen. Unsere Herkunft, unsere nationalkulturelle Zugehörigkeit, ist nur eine von vielen Kategorien und Zugehörigkeiten zu Kollektiven, die unser Denken und Handeln beeinflussen. Das bedeutet für mich, möglichst vorurteilsfrei in die Interaktion zu gehen und stets nach Gemeinsamkeiten und unsichtbaren Verbindungen mit dem Gegenüber zu suchen.

 

 

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Archiv - Experte/Expertin des Monats

Hier finden Sie all unsere Experten und Expertinnen des Monats mit den dazugehörigen Interviews im Überblick:

2021

  • Juni/ Juli - Kirstin Vogel, Expertin für Kommunikation und Veränderung
    „Menschliche Beziehungen basieren auf wirksamer Kommunikation – Unternehmenserfolge auch!“
    Im Interview verrät sie uns die Besonderheit ihrer drei Wohnorte, welche Faktoren eine Rolle bei der Veränderungsarbeit spielen und was Kreativität damit zu tun hat und wie sich die Macht der Kommunikation auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt.
  • Januar/ Februar - Cristina Ramalho, Expertin für Brasilien und Lateinamerika
    „Die Veränderungen waren da wie ein großer Elefant im Raum, den wir nicht sehen wollten. Wir haben gelernt, dass wir mit der Veränderung umgehen sollten und nicht dagegen steuern. Wir haben alle gemerkt, dass wir auf viele Dinge verzichten können – aber nicht auf die für uns wichtigen persönlichen Kontakte."

2020

  • November - Jörg Schumann, Business- und Mental Coach
    „Und darum muss es doch gehen: Dass wir eine sinnvolle Arbeit machen, bei der man in einem guten, konstruktiven Miteinander gute Ergebnisse erzielt und dabei lernt, Schritt für Schritt besser zu werden und dabei persönlich und als Team zu wachsen.“

2019